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Geschichte und Kritik der materiellen Kultur









Aus der Welt des Totalitarismus







Die Mentalität des Militarismus

Alain's “Psychologie des Krieges” von 1921



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Die Mentalität des Herrschens


Wenn schon das Herrentum eine deutliche Form der Missachtung des Menschen war, dann gilt das noch viel mehr für das Kommandowesen des Militarismus.

Auch gilt der Verdacht, dass Kriege jeder Art (also auch Wirtschaftskriege) den Interessen jeder Art von Eliten oder "Gewalten" eines Staates dienen.


"Der Ehrgeizige betrachtet die Gewalten als Zweck ..." und erlebt seine Handlungsweisen (hündische Unterwerfung und Nachahmung) als "Ausdruck guten Benehmens" [Alain 1921, 34)].


Was hast du gelernt im Kriege?: "Man muß energisch die Gewalten aller Art reduzieren - welche zweitrangigen Nachteile auch eintreten mögen -, wenn man den Frieden erhalten will." [Alain 1921, 36)]


Den Eliten muss man misstrauen, weil ihnen die auf sie zugeschnittene Kriegsordnungen "zu viele Vorteile" verschaffen.
Alain versäumt es in dieser Zeit aber noch, den direkten Zusammenhang mit Technologie und Technokratie herzustellen.
An anderer Stelle führt er allerdings aus, dass diese schon eher zur Domäne des Proletariats und nicht etwa der Elite geworden waren.


"Ein Hauptmann ist nicht sehr bedeutend, aber in den Kriegsjahren gab es mehr Distanz zwischen einem einfachen Soldaten und einem Hauptmann als ehemals zwischen einem Leibeigenen und einem Lehnsherren." [Alain 1921, 42)]
Den Krieg lobten Offiziere, "die aus der Sklavenarbeit Nutzen zogen".
Und der Rückgriff der Moderne auf die breite Bevölkerung für den Militärdienst beförderte dieselbe zurück in die Zeiten der Sklaverei.


Der Geist des 1. Weltkriegs war der Krieg der adeligen Offiziere gegen die eigenen Soldaten.
Der Geist des 2. Weltkriegs und des Ukrainekrieges war der Krieg der Militärs gegen die Bevölkerung.


Es geht im Krieg vor allem um die "absolute Macht" zu jeglicher Befehlsgewalt, die auch heutigentags wieder in praktisch jeder Nachrichtensendung auf der Agenda steht.
Die Befehlskette soll aufrecht erhalten werden, gerade die gegen jegliche Vernunft.

Befehlsgewalt bedeutet, "nach dem Wunsch der Mächtigen" zu radikalem Aktivismus aufzustacheln und diesen selbstmörderischen Aktivismus Andere ausführen zu lassen.
"Der furchtbare, jetzt vollständig enthüllte Gesellschaftsvertrag" war die Befehlskette geworden, die "jeden in seinen Handlungen zum Schlimmsten" zwingt. [Alain 1921, 58)]


Der Kommandant solle verflucht werden von denen, die er in den Tod schickt [Alain 1921, 87)]. Gleichermaßen natürlich auch der Staatenlenker oder Parteiführer.

Vielleicht werden sie aber über die Folgen ihres Willens getäuscht: "Denn die besser informierten Mittelsmänner haben keine Befehlsgewalt, und der Befehlende weiß überhaupt nicht, was er tut." [Alain 1921, 87)]

Wäre es nicht teuflisch, wenn dieser gar nichts von den Folgen wissen wollte?



Dummheit als Privileg

Anhand der Evidenz könnte man annehmen, dass nur Dumme herrschen wollen, weil ihre Herrschaft so überflüssig wie ein Kropf ist.

Doch Alains Text führt zu einer anderen ernsthaften Hypothese. Er vermutet nämlich, dass Dummheit erst aus dem Dünkel der Herrschaft entsteht.


Sklaverei führe zu "erzwungener Freundschaft", während die "frei gewählte Freundschaft" nur kurzlebig sei.
Der Sklave sei auch gezwungen, erfinderisch zu sein angesichts seiner nur beschränkten Mittel, und, "seine Leidenschaften zu mäßigen".
All das fördere die Weisheit.

Doch "jeder wird ein Tor sein, sobald er König ist".
[Alain 1921, 33)]


Eigentliche Triebkraft systemischer Dummheit wird der besondere Aspekt "wichtigtuerischer Bosheit", die erst die Gewalten hervorbringe, wo vorher Funktionen waren [Alain 1921, 29)].

Im Kriege kann dieser Charakterzug von der aus kurzsichtiger Rationalität entstandenen Klasse der Befehlsempfänger profitieren.

Man werde nicht als Dummkopf geboren, sondern werde es erst durch eine Wichtigtuerei, die sich "mit allem aufplustert".


Die Macht brauche die Kommandostrukturen des Krieges so dringend, dass sie sogar die "technischen Errungenschaften, die ... den Sieg zu erringen trachten", zurückweise.

Im Ersten Weltkrieg war die Offizierslaufbahn an keine Fähigkeiten geknüpft, sondern ein Privileg. Für die Privilegierten wurde der Krieg “der edle Beruf”. [Alain 1921, 41)]


Bourgeoises Denken bemüht sich immerhin, zu gefallen, sei aber nicht anständig.
Der Bourgeois bewege sich "in den Grenzen der Vergnügungskunst" und der "unwidersprochenen Themen". [Alain 1921, 37)]

Der vielleicht vernichtendste Ausspruch Alains ist jener zum Bourgeois: "Vielleicht zielte ich zu hoch, als ich in solch einem Kopf Ideen voraussetzte."


So waren die Objekte der Politik, das sogenannte Volk, "gezwungen, die Übergriffe der Macht durch ihre geheime, beständige energische Negation zu begrenzen" [Alain 1921, 68)].

Wenn diese Aussage auch recht dunkel bleibt, wird aus diesen Textpassagen doch die völlige und willkürliche Kappung der eigentlich notwendigen Beziehungen zwischen der 'Macht der Gegebenheiten' und der 'Macht der politischen Partei' deutlich.

Allerdings führt auch der Autor selbst so eine Trennung herbei, indem er womöglich die Realität des feindlichen Angriffskrieges verdrängt.



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©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 18.4.2025