ÇA ROULE !


"Demain, l'homme ira sur Mars comme on prend sa voiture pour acheter le pain."
Philippe Vandel


1.

Ich habe oft den Eindruck, dass Frankreich noch stärker durch den Autoverkehr geprägt wird als Deutschland - allerdings bei geringerer Verdichtung.

Nicht nur das relativ große verfügbare Staatsgebiet, auch die großzügigere Anlage der Siedlungen bietet einer viel größeren Menge von Straßen und Stellplätzen Raum.





Die landschaftliche Vielfalt erlaubt durch Serpentinen, doppelte Wegeführung und die Notwendigkeit dezentraler Infrastrukturen einen weit differenzierteren Einsatz des Kraftwagens als es eine einheitliche Landschaft flachen Landes täte wie etwa in der Umgebung von Wolfsburg.

Und nur in Frankreich hat die bewusste Entscheidung für eine flächendeckende Kernenergie-Versorgung die Grundlage für eine nahezu unbegrenzte Kraftfahrzeug-Produktion geschaffen.



Freiwillig von der Autoindustrie parasitieren lässt sich auch das Fürstentum Monaco, wie Jürgen Roth in der FAZ am 28.5.2009 berichtete. Beim "Grand Prix de Monaco" werden Boliden mit mehreren hundert Stundenkilometern durch einen 3,34 Kilometer langen Parcours mit engen Serpentinen gejagt, die - oft parallel oder mehrstöckig zu anderen Straßen - zwar nicht über die Halbinsel mit der Zitadelle des Fürsten verlaufen, aber durch das Glückspielviertel Monte Carlo und das Hafenviertel Lá Condamine.

"Urzeitliche oder apokalyptische Gewalten scheinen entfesselt zu werden, ein unermessliches Getöse erfüllt den städtischen Kessel" ...  und nach vollbrachter Untat werden die Fahrer zur Belohnung von der Fürstenfamilie zu einem Tänzchen eingeladen.

Der Auf- und Abbau der Leitplanken, Zäune und Tribünen nehme jedes Jahr viele Monate in Anspruch.



Die Verhöhnung der Körperfunktionen ist nicht nur im öffentlichen Raum zu spüren, sondern allgegenwärtig - über alle Entfernungen und über alle Hindernisse hinweg, und vor allem auch durch Hauswände und Kleidungsstücke hindurch - nicht allein infolge des permanenten dröhnenden Lärmpegels, von häufigen Lärmspitzen frisierter Motoren verstärkt, sondern auch durch die Allgegenwart der zu Conductoren degenerierten menschlichen Spezies.

Der seltsame Schnitt der Hosen, die Jugendliche seit dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts tragen, zeugt schon von der starken Anpassung der motorisierten Rassen an das Leben mit Kraftfahrzeugen. In wenigen Generationen werden diese sicher das einzige Kleidungsstück des Menschen sein.




Wurde in den Kirchen für Autos gebetet?

Oder sollte es sich beim Automobil etwa um das Totemtier der modernen Gesellschaft selbst handeln? Offenbar wird es von vielen für ein höheres Wesen angesehen, dem sich der Mensch unterzuordnen hat.



2.

Franzosen fahren die ganze Zeit durch die Gegend und scheinen sich für nichts anderes zu interessieren. An der Riviera gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man, um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen, dies auf keinen Fall auf eine andere Weise als mit seinem Fahrzeug tun kann.

Auch die Jugendlichen, wenn sie noch kein Fahrzeug besitzen, und müßig auf den Plätzen herumalbern, werden bald von solchen Jugendlichen, die ein Fahrzeug besitzen, eingekreist und unmissverständlich dazu aufgefordert, sich nun allmählich auch eines anzuschaffen.

Manche Autofahrer haben hier sogar die liebenswerte Angewohnheit beibehalten, vor einem Hindernis (vielleicht einem Fußgänger) noch einmal kurz Gas zu geben vor dem Abbremsen ...





Franzosen fahren Heizöl oder selbstgemixte Treibstoffe - hier an der Küste kann man sicher leicht über dunkle Quellen an Schiffs-Treibstoff gelangen, und der Besucher hat daher zuweilen noch die Gelegenheit, die ungefilterten Geruchsnuancen aller verschiedenen Stufen der Raffination zu genießen.

Sicher gilt das Auto auch in Frankreich als unverzichtbares Mittel, um in preiswerten Supermärkten einkaufen zu "gehen".

Vielleicht soll das Automobil in südlicher Landschaft den Wald ersetzen und die zumeist ziemlich hellhäutige Bevölkerung vor der Sonne schützen.
Selbst auf dem einzigen Waldweg, der aus meinem Urlaubsort St. Maxime herausführt, rauschten ständig Lieferwagen, PKWs und Landrover vorbei.

Und gerade ein Urlaub auf dem Land oder eine Stippvisite in der Sommerfrische verlangen eine erhöhte Motorisierung: vor jedem verfallenen Landhaus steht ein halbes Dutzend nagelneuer silbrig oder sonstwie glänzender Kleinautos, sowie eine Reihe Motorroller für den Nachwuchs.





Die große Mobilität der Franzosen schafft auch saisonale Lager für Autofahrer, die bis jetzt noch eher nur während des Urlaubs genutzt werden.

Ja, ein Tourismus der Massen wäre ohne geeignete Verkehrsmittel gar nicht möglich. Den Anfang machten vor etwa 150 Jahren die Eisenbahnen.


Und das Autofahren wird heute noch mit einem Nimbus der Exklusivität und des Erfolges umgeben: um über eine Autovermietung an eines zu gelangen, muss man sich zuerst die Master-Card besorgen!

Zwar sollen nur die äußersten Randgruppen kein Auto fahren, doch es dauerte eine ganze Woche der Verhandlungen und des Preisvergleichs, bis mir die Damen im Büro schließlich klarmachen konnten, dass auch ich zu diesen gehören müsse, weil ich keine Mastercard besitze (Bargeld wurde nicht akzeptiert) !

An dem hier beschriebenen Küstenabschnitt gibt es zwar öffentliche Verkehrsmittel, diese fahren aber so unregelmäßig und stellen so früh am Abend den Betrieb ein, dass sie im Grunde unbrauchbar sind. Die Busse dienen in erster Linie zur Beförderung von Schulkindern, und auf die fremden Touristen, die Busse auf der Küstenstraße benutzen wollen (oft mit Handgepäck), wird mit Verachtung herabgeblickt.

Dennoch scheint das Auto an der französischen Riviera bis jetzt noch lediglich als Medium größtmöglicher persönlicher Bequemlichkeit zu gelten und nicht wie im Betonland Deutschland schon als Lebensinhalt, -zweck und -ziel.


Motorradfahren dient der sportlichen Entspannung - natürlich des Fahrers und nicht der Zeugen seiner Raserei. Finanziell gut gestellte, aber schon etwas tüddelige Motorrad-Gangs suchten die Küste in diesem Februar nur bei schönem Wetter am Wochenende heim, während sportliche Einzeltäter auf frisierten Maschinen den uninteressierten Zeitgenossen ständig die Tag- und Nachtruhe raubten.

Die Naturräume, die von Normalbürgern mit ihren Autos noch nicht frequentiert werden können, werden so regelmäßig von Motocross- und Radsport-Fans missbraucht, dass sich schmale Fußwege bald in tief ausgespülte Erosionsrinnen verwandeln.
Im mediterranen Wald bei Cogolin wurde ich lange Zeit von den furchterregenden Geräuschen auf Höchstleistung gequälter Motobikes beunruhigt. Später sah ich die dreckbespritzten jugendlichen Übeltäter - einer sogar mit einem der beliebten Vierrad-Bikes (sie werden hier als "Strand Froggies" verkauft), die offensichtlich auch sehr steile Hänge überwinden können.





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