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Proxima Centauri


1935 hat der Science Fiction - Autor Murray Leinster mit einem gewissen prophetischen Weitblick und den Mitteln der Groschenheft-Literatur der menschlichen Kultur den Spiegel vorgehalten.



Ein gigantisches Raumschiff von der Erde soll Proxima Centauri erkunden, da wird es von einem viel kleineren Objekt aus jenem Sternensystem angegriffen.


"Haben Sie das Spektrum aufgenommen?" fragte Jack.
"Ja", antwortete der zur Beobachtung eingeteilte Mann. "Und ich kann es nicht glauben. Sie benutzen als Treibstoff ein organisches Material. Und nach der Aufnahme besteht die Hülle des Dings aus Zellulose, nicht aus Metall. Es hat außen Holz!"


Durch eine Art Gentechnik erzeugen die Centaurier Artefakte.


"Sie beschießen uns mit Kurzwellen ... Etwa fünftausend Kilowatt auf Dreißig-Zentimeter-Wellen - die Länge, die wir auf der Erde benutzen, um Kornwürmer im Weizen zu töten."


Da die fremden Wesen annehmen, die Besatzung abgetötet zu haben, wollen sie das irdische Raumschiff entern und werden von der menschlichen Spezies in Empfang genommen. Um was für Aliens handelt es sich?


"In gewissem Sinn sind sie offensichtlich Pflanzen. Das heißt, ihre Körper scheinen anstelle von Muskelfassern Zellulosefasern zu besitzen. ... Bei uns auf der Erde sind am ehesten die fleischfressenden Pflanzen mit ihnen zu vergleichen, der Kannenstrauch und ähnliche. ... Ihre Körper bestehen aus dem gleichen Material wie irdische Pflanzen, aber sie laufen umher wie Tiere."
...
Alistair sagte zornig: "Und uns Tiere betrachten sie ebenso, wie wir die Pflanzen betrachten." Jack fuhr ausdruckslos fort: "Jawohl, Sir. Sie nehmen durch Öffnungen in ihren Armen Nahrung zu sich. Der eine Fremde, der den Kommunikationsoffizier tötete, ergriff seinen Arm. Er schien eine Flüssigkeit zu versprühen, die das Fleisch des Toten auf der Stelle verflüssigte. Sofort saugte er die Flüssigkeit ein."


Das ungeheuerliche ist hier also nicht, dass diese Lebewesen Fleisch verzehren, sondern dass sie als die verkehrten Lebewesen Fleisch verzehren!





Wenn man alle Informationen zusammenfügte, zeigte diese Zivilisation eine bestürzende Ähnlichkeit mit der menschlichen. Die Centaurier besaßen Gebilde, die zweifellos Wohnhäuser waren. Sie hatten Städte, Gesetze, Künste - wie aus den Zeichnungen des zweiten Centauriers hervorging - und Wissenschaften. Besonders die Wissenschaft der Biologie war weit fortgeschritten. Sie nahm in gewissem Grad den Platz ein, den die Metallurgie bei den Menschen hatte. Die centaurischen Artefakte waren gewachsen, nicht gebaut. Statt daß sie Metalle dem gewünschten Zweck entsprechend formten, hatten sie Protoplasma-Arten, bei denen sie Form und Ausmaß des Wachstums kontrollieren konnten.
...
Vor Äonen schon hatte die Not sie gelehrt, sich mit pflanzlicher Nahrung abzufinden. Aber die primitive Gier nach Fleisch blieb.


Da alles tierische Leben auf Proxima Centauri längst verzehrt ist, stellt die Besatzung des Raumschiffs einen unwiderstehlichen und ungeheuer kostbaren Leckerbissen dar, der in einer gigantischen centaurischen Feier jubelnd assimiliert wird.
Nun steht zu befürchten, dass die Centaurier zur Erde aufbrechen werden, um sich das dortige tierische Leben einzuverleiben. Deshalb vernichtet der Kommandant, das letzte übrig gebliebene Besatzungsmitglied, sie, indem er ihnen den (in der Realität noch nicht erfundenen) Entmaterialisierungs-Antrieb seines Raumschiffes vorführt.





Was kann man mit Hilfe dieser Heftchen-Prosa, in die auch noch eine Liebesgeschichte eingearbeitet ist, über die menschliche Kultur erfahren?

Der eine Aspekt ist der Erfolg der dominierenden Lebensform, die sich alles unterordnet und die alles zerstört ...

Der andere Aspekt ist die Umkehrung aller Werte, die offenbar allem Leben innewohnt; je nach Standpunkt wird das jeweilige Wertesystem des anderen auf den Kopf gestellt.
Das Vegetabilische, dem von uns eigentlich kein Empfinden und keine Seele zuerkannt wird, sieht in den Menschen nur eine untergeordnete Sache, die allerdings in den Weiten des Raums einen hohen materiellen Wert gewinnen kann.


Eine Verdrehung zum Vegetabilischen, einer vegetativen Lebensweise, die auf totaler Aussaugung oder Ausbeutung der Umwelt beruht, charakterisiert auch das Perverse am modernen Leben. Dabei ist zu beachten, dass insbesondere die modernen Verkehrstechniken eigentlich keine Mobilität, sondern vegetabilische Immobilität erzeugen.



©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 13.3.2011





Thema Umwelt