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Ein neues Projekt zum Thema Technokratie und Desinformation



Erfahrung und ihre Negation


Eine Ergänzung zu den zeitgenössischen Grundproblemen von der Philosophie bis zur Informationstechnologie bot schon frühzeitig Eckart Kroneberg in seiner Auseinandersetzung mit buddhistischem Denken.

Ähnlich wie die immer etwas dilettantenhaft erscheinende Philosophie erklärt gerade der Buddhismus die Erscheinungswelt als "Wahngespinst" [Kroneberg 1980], und nicht etwa als Wahrnehmungsgespinst.

Ich persönlich finde, damit macht der Buddhismus es sich zu einfach.


Die Psychologie glaubt hingegen, dass auch innere Vorstellungen, Erinnerungen und Träume zu Formen der Erfahrung werden [Laing 1969, Abschn. I]. Dasselbe muss dann ebenso für Text und Wissenschaft gelten.


Die Art und Weise der Erfahrung wurde als Seele identifiziert.

Das Problem ihres Konzeptes ist der Mythos, sie sei unsterblich, während doch in Wirklichkeit ihre Bestandteile aus Erfahrungen eher nur eine Halbwertzeit von wenigen Stunden besitzen.

Allerdings ist Erfahrung nicht nur ein Prozess (Kognition), sondern auch ein Zustand (Wissen).

Dabei kann der Erfahrungsprozess nicht einfach durch die Annahme irgendeines Wissens (Wahrheit) für beendet erklärt werden.


Erfahrung scheint die einzige Evidenz des Bewusstseins zu sein; man kann ihr aber auch skeptisch gegenüberstehen:
"Den Pseudo-Ereignissen um uns passen wir uns an im falschen Bewußtsein, sie seien wahr, real und sogar schön." [Laing 1969, Einleitung]

50 Jahre später hatten sich diese negierten "Pseudo-Ereignisse" der 60er Jahre allerdings zu einer Katastrophe entwickelt, die die damalige Welt paradiesisch erscheinen lässt.


Laings Psychoanalyse bringt als erschwerenden Aspekt ins Spiel, dass das erfahrene oder wahrgenommene Objekt kein toter Gegenstand ist, sondern als Mitmensch und Mitlebewesen das erfahrende Subjekt selber erfährt oder wahrnimmt.

Die andere Person ist das wirkungsvollste Mittel der Beeinflussung der Erfahrung [Laing 1969, Abschn. I].

Aber über diesen Umweg wird die außermenschliche Welt als Gegenstand der Erfahrung missachtet, ein Aspekt, den nicht nur die Psychoanalyse völlig außer Betracht lässt.


Laing behauptete, Interaktionen unter Personen können "nur gegen die eigene Erfahrung oder gegen die des anderen" wirken [Laing 1969, Abschn. I].
Das ist eine ziemlich unsinnige Annahme, denn wenn es keine gemeinsamen Erfahrungen geben würde, wären auch keine Interaktionen möglich.


Wir seien nur potentiell Menschen, lebten aber tatsächlich in einer Welt der Entfremdung, die durch "Gewaltanwendung von Menschen gegenüber Menschen" verursacht wird [Laing 1969, Einleitung]. Diese Gewaltanwendung dürfte sich am häufigsten als Negation des anderen Menschen äußern.

Entfremdung sei so allgemein verbreitet, dass sie selten als Wahnsinn eingestuft werde [Laing 1969, Abschn. I].


Nach den Meinungsäußerungen von Laing im ersten Abschnitt stelle ich mir eine Therapie bei ihm als ziemlich unerträglich vor. Seine einseitige Interpretation von Erfahrung als Negation klammert äußerst wichtige Verhaltenskomponenten aus, nämlich die, die einfach als Kommunikation und Expression funktionieren sollen.

In jeder Erfahrung als Deutung oder Beziehung stecke "das Element der Negation" [Laing 1969, Abschn. I], was wohl daran liegen kann, dass es an manchen Orten und für manche Menschen sehr wenig zu erfahren gibt.
Daher postulierte Laing schon in den 1960er Jahren: "Es gibt immer mehr Interesse an der Kommunikation; es gibt immer weniger zu kommunizieren!"


Auch Kommunikation kann natürlich missbräuchlich zur Negation eingesetzt werden, beispielsweise in der Werbebranche! Und das bis zu einem Punkt, an dem sich die Negation auch in der Realität niedergeschlagen hat.

Die "Intererfahrung zwischen Menschen" wird beispielsweise durch Masken, Ängste und Projektionen verhindert; andererseits werden diese als Zahlungsmittel und Medien menschlicher Beziehungen definiert [Laing 1969, Abschn. II].

Auch das Nichts und die Negation können auf diesem Weg zu einem Zahlungsmittel gemacht werden.


Die psychoanalytische Methode, menschliche Wahrnehmung als Phantasie darzustellen, ist sowohl eine Negation als auch Psychoterror.


Laing erklärt bereits die frühkindliche Welterfahrung zur Phantasie [Laing 1969, Abschn. I].

Das ist insofern erstaunlich, da die Phantasie der Erwachsenen sich auf Vergleichsmöglichkeiten bezieht, also vor allem die ihrer Welterfahrung.

Man könnte mit demselben Recht anzweifeln, dass das noch unentwickelte Bewusstsein des Kindes überhaupt die Kraft zur Phantasie besitzt, da es vielmehr nur genug Kraft für seine wachsende Welterfahrung aufbringen kann.


Möglicherweise liegt das Problem nicht bei den Patienten, sondern in einem gesellschaftlichen Umfeld, das ihnen gezielt Widerstände entgegensetzt und daher das eigentliche Ziel von Therapie sein sollte: Therapie der Vielen zum Schutz der Wenigen!




Literaturangaben:

Ronald D. Laing: Phänomenologie der Erfahrung. Frankfurt/M., 1969. ("The Politics of Experience", 1967)
- Abschn. I: Person und Erfahrung
- Abschn. II. Psychotherapeutische Erfahrung

Eckart Kroneberg: Buddha, Berlin-Wilmersdorf - Annäherungsversuche an den Vollerwachten. Frankfurt/ M., 1980.



©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 16.11.2025