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Aus der Welt des Totalitarismus







Endlich Krieg!



Ideologie des Krieges

[nach: Langewiesche 2019, Einführung]


Das Konzept der Rechtfertigung des Krieges erscheint insgesamt fragwürdig. Genau diese fragwürdigen Konzepte werden jedoch von Langewiesche 2019 angeregt:
Krieg und Freiheit als einander bedingende Einheit zielt auf die fragwürdige Freiheit ab, Krieg zu führen.
Krieg als Mittel, um "hehre Ziele" zu erreichen, wäre eigentlich die seltene Ausnahme, es sei denn, man definierte Nationalismus und Kolonialismus als diese hehren Ziele, wie es hier geschieht.


Es fehlt völlig an einer Abgrenzung des schlechten Krieges, wie etwa des Angriffs-, Eroberungs- und Kolonialkrieges.
Umgekehrt sollten die Abwehr und die Vereitelung kriegerischer Aggression oder von Unterdrückung besser nicht als Krieg, sondern mit einem anderen Begriff bezeichnet werden, als Selbstverteidigung, Hilfeleistung oder auch Intervention.
Durch Vermischung von Aggression und Notwehr, von Täter und Opfer kann Krieg als positive oder gar schöpferische Kraft dargestellt werden wie es hier unter völliger Verkehrung der Dinge geschieht: "Krieg als Gestaltungskraft".

Heutzutage wird das militärische Machtzentrum eines Staatswesens immerhin noch als Verteidigungsministerium, nicht als Kriegsministerium bezeichnet.


Im Zeitalter Napoleons sah Kant in der nicht kriegssüchtigen republikanischen Verfassung noch das Gegengewicht zum Kriege als dem "Zerstörer alles Guten".
Heute ist 'republikanisch' in der mittlerweile sehr weitgesteckten Interpretation des Begriffs durch gewisse Parteien nahezu synonym geworden mit Kriegstreiberei nach innen und außen.

Kant habe Krieg noch auf den "monarchischen Staatseigentümer" [Langewiesche 2019, Einführung] zurückgeführt, worin ihn nur der neue Kaiser Napoleon bestärkt haben kann und natürlich nicht das Volk der Französischen Revolution.


Langewiesche prägt das Wort 'Fortschrittsblockaden', für die nach Kant das Notrecht des Krieges "von innen und außen" bestehe. Da ist der Unterschied zum Faschismus als Rechtfertigung des Krieges nach innen und außen nicht mehr nachweisbar!

In der Erzählung von Langewiesche folgte Kant dem Nützlichkeitsgedanken, dass erst Besitzgier und Herrschsucht "alle vortrefflichen Naturanlagen in der Menschheit" entwickele und veredele (und damit wohl am Ende auch den Krieg).

Immerhin wird auch positives Denken bei Kant entdeckt: Kant sehnte einen 'Völkerbund' herbei, der Gesetzen auch unter Staaten Geltung verschafft.
Das Volk ist bei Kant die Rechtsgemeinschaft, nicht die ethnisch unvermischte Nation wie sie unlängst Victor Orban für sein Volk beanspruchte.


Leider bewegt sich nicht nur der Inhalt, sondern auch der sprachliche Stil der Langewieschen Einführung in einer Sphäre der Anmaßung und Mißachtung, die typisch für kriegslüsternen Etatismus ist, was von der weiteren Lektüre des Buches, das die hier diskreditierten Thesen wohl untermauern soll, abschreckt.

"Ein Reaktionär ist jemand, der glaubt, daß es eine uralte Weisheit gibt, ein überliefertes Modell gesellschaftlicher und moralischer Ordnung, zu dem man um jeden Preis zurückkehren muss ..." Umberto Eco: Schießt die Vöglein tot [L'Espresso, März 2004]
Die furchtbarsten Reaktionäre sind Historiker, die aus uralten Irrläufen der Geschichte Regeln für die Zukunft ableiten.



Nationalismus

Nationalismus und Autokratie sind in manchen Köpfen nach wie vor unabdingbar miteinander verknüpfte Naturgesetze.

Die "Nation als Ordnungsidee" sei in Europa das "Fortschrittsversprechen schlechthin" gewesen [Langewiesche 2019, Einführung]. Die Kolonialisierung fremder, also extra-nationaler Räume wurde aber inkonsequenterweise ebenfalls als Fortschritt gesehen.

Kolonisierung wurde sehr plump als auch der Bereicherung der Kolonisierten dienend und nicht nur als der eigenen Bereicherung dienend dargestellt.

Die Rechtfertigung des Krieges mit diesen Argumenten gehört zweifellos in die Ideenwelt des 19. Jh.s.


Staatenbildung, auch als Dekolonialisierung, könnte andererseits in diesen ideologischen Verhältnissen nur durch unter allgemeinem Konsens legitimierte und institutionalisierte Gewalt erreichbar sein. Dies wird von Langewiesche als Revolution beschrieben.
Leider wurde beispielsweise als einzige Revolution der Deutschen die nationalsozialistische identifiziert.

Zum Thema "Nation und Nationalstaat" fasst sich der Autor zwar dunkel und redet nur allgemein von "Ressourcengemeinschaft" und "Teilhaberechten", verknüpft diese aber unauflösbar mit dem Leitbild des Nationalismus, der Fortschritt nur durch starke Grenzen nach außen und einer dem längst skelettierten Schlachtroß Kant aufgebürdeten allgemeinen "Kriegsbereitschaft" zu verwirklichen können glaubt [Langewiesche 2019, Einführung].

Wenn das hier so rundweg positiv kommentiert wird, wirkt die Mahnung von den möglichen ethnischen Säuberungen als einer "dunklen Seite" des Nationalstaates nur wie ein Lippenbekenntnis. Wenn man den "Fortschritt" des Nationalstaates als Maß aller Dinge sieht, kann man auch die ethnischen Säuberungen in Hitlers Weltkrieg als historische Notwendigkeit hinnehmen.

Die Bandbreite der Intoleranz könne im Kriege maximal verstärkt werden, wenn die in Friedenszeiten nur soziale Rolle nationaler Zugehörigkeit zum notwendigen Loyalitätsbeweis werde [Langewiesche 2019, Einführung].


Es sei allein der Krieg, der Staaten und Nationen "erschafft und zerstört" [Langewiesche 2019, Einführung].
Dabei ist die Idee des Nationalstaates lediglich als Abwehr der imperialen Politik Napoleons relevant gewesen. Wobei man Napoleon ja auch noch zugutehalten kann, dass er den Völkern Europas mit seinem fortschrittlichen 'code civil' die Rechte von Staatsbürgern erst vermittelt hat.

Frankreich sei nach Ernest Renan ("Qu'est-ce qu'une nation?", 1882) ein positives Beispiel der Zentralisierung durch Gewalt; die Abgrenzung zur Habsburger Monarchie ist aber kaum beweiskräftig, da letztere möglicherweise noch mehr Gewalt angewendet hat.


Der Autor übertreibt die Rolle der Monarchen und des Krieges bei der Nationenbildung allzu einseitig. Er erhebt die Fürsten zu "nationalen Bollwerken" gegen Napoleon und erklärt die aus Karl May - Büchern bekannte Ideologie zur "eisernen Regel", dass "ohne monarchisches Haupt kein neuer Nationalstaat" entstehen könne [Langewiesche 2019, Einführung].


In Amerika führte die Entwicklung in eine ganz andere Richtung: das Ziel der Sezession von den europäischen Monarchen waren hier Republiken, und diese hatten eigentlich nichts mit Nationalstaaten zu tun, weil sie besonders in Lateinamerika auf einer breiten indigenen Bevölkerung fußten!

Außerdem bestand die Nationenbildung in der Alten Welt (bei den Osmanen, Romanows, Habsburgern, Hohenzollern) doch wohl eher im Kollabieren ihrer monarchischen Ambitionen nach imperialer Größe und Kriegserfolg als in den eigenen kriegerischen Anstrengungen ihrer Völker.

Es soll hier durch Verdrehung der Tatsachen offenbar einmal wieder den Ideologien untergegangener Epochen Geltung verschafft werden.



Revolution und Intervention

Der Abschnittstitel "Revolution - Krieg durchbricht Fortschrittsblockaden" ist eine heillose Gleichsetzung von Dingen, die nichts miteinander zu tun haben: Revolution ist eine strukturelle und ideelle Optimierung, Krieg eine zu ächtende Methode des Gewalteinsatzes.

Infolgedessen fehlt bei den autonomen Revolutionen auch die Bipolarität der Kriege, deren Ziel die Schädigung der Gegenpartei mit allen Mitteln ist.
Der Erfolg von Revolutionen hängt sicher nicht vom Ausmaß der eingesetzten Gewalt ab, sondern vielmehr von der Tragfähigkeit ihrer Ideen.
Und wenn man bereits Aufstände im Inneren mit Krieg gleichsetzt, dann grenzt das an Kriegstreiberei und Militarismus.

Der Autor muss selbst einräumen: "Eine kriegsfähige Internationale der Revolutionäre als Widerpart zur kriegsmächtigen Internationale der Gegenrevolution entstand nicht." [Langewiesche 2019, Einführung].

Und doch sei die friedliche Revolution bei der Auflösung des Ostblocks die Ausnahme gewesen, die Regel sei, dass der Motor von Nationalrevolutionen der Krieg sei.

Es wird also so getan, als ob der Nationalstaat das Ziel und der Krieg das Mittel jeder Revolution und Evolution wären!


Ziemlich eindeutig ausgearbeitet ist der scheinbar unüberbrückbare, historische Gegensatz zwischen den beiden politischen Welten des Liberalismus und Marxismus auf der einen Seite gegenüber den reaktionären und autokratischen staatlichen Strukturen, deren Bollwerk aber seit jeher Russland war.

Das liberale Europa war nicht zum Krieg bereit, das autokratische sehr wohl. Bei den Kriegen Europas handelte es sich also eher um Scheingefechte zwischen den reaktionären Kräften, die für die Bevölkerung dennoch sehr schmerzhaft waren.

Wenn diese typischen Kriege zwischen militaristischen Kräften zur Niederlage eines Landes führten, konnte das allerdings der Revolution zur Macht verhelfen wie bei der Pariser Commune 1871 und der Sowjetrepubik von 1917.

Im 20. Jh. wurde nach seinem Erfolg in China und Kuba "der Guerillakrieg als nationalpolitisches Revolutionsinstrument" zu einem neuen Leitbild [Langewiesche 2019, Einführung].
Doch ist diese Guerilla nicht wirklich etwas Neues, wenn man bedenkt, dass in den meisten Ländern bis ins 19. Jh. hinein nur ein Bruchteil der Territorien von den Staaten kontrolliert wurde.



Auch der Abschnittstitel "Humanitäre Intervention - Die Rückkehr des Krieges als Fortschrittskraft" ist eine heillose Gleichsetzung: sowohl die Ziele als auch die Mittel unterscheiden sich bei einem Krieg grundlegend von humanitären Zielen.

Anscheinend will das Völkerrecht aber einen gerechtfertigten Krieg ('bellum iustum') kennen.


Unter Bezugnahme auf Clausewitz wird sogar behauptet, dass jeder souveräne Staat das Recht zu jeder Art von Krieg habe, obwohl schon der Völkerbund der 20er Jahre wie die heutigen 'Vereinten Nationen' kriegerische Gewalt grundsätzlich geächtet haben [Langewiesche 2019, Einführung].
Diese Idee geht sicher auf die preußische Doktrin zurück, dass sich der Staat durch Kriegführen definiere, die auch großen Einfluss auf den NS-Staat hatte.


Die Habsburger Monarchie sei 1848/49 in Ungarn und Italien auch mit regulärem Militär konfrontiert worden, das die Sezession erreichen wollte.
Dies ist ein Beispiel dafür, dass Hegemonialmächte eine nicht immer zu rechtfertigende Oberhoheit anstreben.



Propaganda

Um einen Krieg anzuzetteln - zumeist ja gegen den nächsten Nachbarn - ist Propaganda notwendig.

Goebbels habe Ende Mai 1940 eine Haß-Kampagne gegen die Franzosen gestartet, die aber ein Fehlschlag war. Umgekehrt konnte Goebbels die Unbeliebtheit der verbündeten Italiener bei den Deutschen auch durch seine Propaganda nicht beseitigen. Die Propaganda eines "Kreuzzugs gegen den Bolschewismus" soll bei den Deutschen mehr Anklang gefunden haben als bei anderen Europäern.
[Lukacs 1980, II-5 - Abschn. "Inter-nationale Affinitäten"]


Goebbels veranlasste im Jahr 1941 auch eine Sieges- oder 'V-' wie 'Viktoria!' - Kampagne, die sich aber zu einem gewaltigen Misserfolg entwickelte, weil die Alliierten über ihre BBC-Propaganda das 'victory'-Zeichen und den Morsebuchstaben V, der mit dem Anfang von Beethovens Fünfter übereinstimmt, am Ende doch für sich reklamieren konnten [Lukacs 1980, Fußnote S. 311].


Im "Staats-Lexikon" (Altona, 1840) des Karl von Rotteck (das "Grundbuch des deutschen Frühliberalismus") wird Krieg noch als "unermeßlich wohlthätig" angesehen, weil er die "Selbständigkeit der einzelnen Nationen" erhalte und die Menschen von Untätigkeit und Sinnengenuss abhalte [in: Langewiesche 2019].

Solche Mythen des Krieges beinhalten auch, dass er soziale Verhaltensweisen einfordert.
Sowohl der Zweite Weltkrieg als auch der Vietnamkrieg haben gezeigt, dass diese selbst als Zwangskommunismus zum Erfolg führen können!




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©  Stephan Theodor Hahn, Bad Breisig, am 9.9.2022